Kommunität Imshausen

Kommunität Imshausen
Von Mensch zu Mensch

Titelbild

Selten fährt ein Bus von Bebra aus in das hessische Dorf Imshausen, das nahe der ehemaligen deutschdeutschen Grenze liegt. Dort angekommen, geht es zehn Minuten zu Fuß einen Berg hinauf. Schließlich sieht der Besucher links des Weges ein hohes Holzkreuz und entdeckt dann zwischen Feldern und Bäumen den Tannenhof der Kommunität Imshausen. Zehn Brüder und Schwestern leben und arbeiten hier gemeinsam mit einer Familie, Freunden und Gästen im Rhythmus der Stundengebete in einer klösterlichen Gemeinschaft der Evangelischen Kirche.

Rückblick

Alles begann Ende der Dreißiger Jahre, als Vera von Trott, die Schwester des Widerstandskämpfers Adam von Trott, für den Kirchenkreis Rotenburg die Organisation der Arbeit für die jungen Frauen in den Dörfern übernahm. In einem Haus außerhalb des Dorfes Imshausen, der so genannten Untermühle, lebte ab dem Kriegsbeginn auch eine evakuierte Familie aus dem Grenzgebiet des Saarlandes mit der kleinen christlichen Gemeinschaft. Nach 1945 entstand mit den dort lebenden Flüchtlingskindern aus Ostdeutschland das „Kinderhaus Imshausen”. Der Bruder Adam von Trott war von Anfang an ein Gegner der Nazis. Die Machtübernahme Hitlers 1933 hab er so ernst aufgenommen, „als hätte es in der Familie einen Todesfall gegeben“, beschreibt ihn ein britischer Freund. Als Diplomat im Außenministerium war Adam von Trott wesentlich an den Umsturzplänen beteiligt, die zum Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 führten. Die Schwester Vera von Trott schrieb 1935 einem Pfarrer angesichts der Konflikte mit Nazis innerhalb der Kirche: „Glauben Sie, dass wir in den 2000 Jahren viel gelernt haben? Mit dem Schwert dreinschlagen oder wenigstens reden, viel reden. Ich glaube, dass Christus gerade so einsam trägt wie damals.” Bei einer Rüstzeit 1943 mussten während der Messe am Sonntag im Erdgeschoss die Fensterläden zum Schutz vor Randalierern aus den umliegenden Dörfern geschlossen werden. Bruder Peter lebte bereits als Kind von 1943 bis 1945 in der Untermühle und gehört zu den vier Brüdern und Schwestern, die 1955 die Kommunität gründeten. Er erinnert sich an die Nachricht von der Hinrichtung Adam von Trotts. Ein Junge aus Imshausen erzählte ihm auf dem Radweg zur Schule: „Weißt du das schon? Den Adam haben sie gehängt.” Einige Dorfbewohner meinten, man hätte gleich die ganze Familie aufhängen sollen. „Und dann gab es solche, die im Dunkeln bei Nacht in das Elternhaus gekommen sind und der Mutter Eleonore von Trott ihre Teilnahme ausgedrückt haben.“ Das hohe Kreuz am Weg zur Kommunität erinnert heute an Adam von Trott und seine Freunde.

Schritt für Schritt

Immer wieder leben Gäste für eine kurze oder auch längere Zeit mit der Gemeinschaft. Sie kommen zu den Einkehrtagen, den Pilgerwegen oder den Jugendfreizeiten. Gemeinsam mit den Schwestern und Brüdern beten sie das überlieferte Stundengebet. Bruder Philipp wurde gemeinsam mit Schwester Angelika gewählt, „den Weg der Kommunität im Auge zu behalten”, wie er es umschreibt. Er erklärt die Stundengebete: „Frühmorgens ist es die Auferstehung und um neun Uhr beten wir mit Bezug auf Pfingsten um den heiligen Geist. In der Mitte des Tages singen wir die Seligpreisungen‚ quasi Jesu Regierungsprogramm. Das Fürbittengebet um drei Uhr ist zu Jesu Todesstunde. Mit der Vesper beginnt so wie in der Schöpfungsgeschichte am Abend der neue Tag.“

Das erste Gebet der Hausgemeinde war die Komplet: das Nachtgebet um Bewahrung in Zeiten der Anfechtung. Während des Zweiten Weltkrieges beteten sie für die Soldaten und Opfer des Krieges auf beiden Seiten. Der Gesang ist bis heute lebendig geblieben. „Es ist wichtig, aufmerksam zu bleiben”, sagt Bruder Philipp. Er lebt seit 50 Jahren in der Kommunität: „Das gehört mit zu unserer Berufung: Das Lob Gottes — dem Ausdruck zu geben. Für uns gehört das zu unserem Leben wie das Kochen.” Besonders intensiv ist das gemeinsame Schweigen mit den Gästen in der Karwoche. Ostern 2011 war Fukushima ein Thema des Kreuzweges: „Für unsere Augen blühen die Bäume nicht so kräftig wie gewöhnlich”, schreibt eine befreundete Kirchenmusikerin aus Tokio.

Schritt für Schritt zum Ziel: das Labyrinth auf dem Gelände des Tannenhofs

Bruder Michael ist als Hausmeister für die Energieversorgung zuständig. Seit dem Atomunglück beteiligt er sich in Bebra an einer monatlichen Mahnwache für die Energiewende. Nach dem Schweigen für die Opfer von Atomunfällen singen sie frei nach der alten Kanonmelodie: „Heho, packt die Wende an, Wind und Sonne gibt's genug im Land, baut mit an der Zukunft.” Früher führte die Kommunität einen eigenen landwirtschaftlichen Betrieb, jetzt ist das Land an zwei Biobauern verpachtet. Die Kommunität sieht es als ihre Aufgabe an, „den Schöpfungsauftrag” weiterzuführen: „Die Erde ist des Herrn”, zitiert Bruder Michael aus Psalm 24. Sie nutzen Warmwasserkollektoren, Solaranlagen und heizen mit Holz. Nur bei Minusgraden brauchen sie noch Öl. Außerdem war Bruder Michael für eine gentechnikfreie Landwirtschaft aktiv und sammelte Unterschriften. Die Kommunität beteiligte sich an einem lokalen Bündnis von Landwirten, Verbrauchern, Imkern und Gastronomen, das erfolgreich einen Bürgerantrag für gentechnikfreies Saatgut in die Pachtverträge der Stadt Bebra eingebracht hat.

Schwester Angelika erklärt, früher habe sich die Kommunität nicht an Demonstrationen beteiligt, jetzt machten sie hierbei ihre ersten Erfahrungen. „Wir sind immer als kleines Häufein unterwegs. Wir waren nie festgelegt: weder als Kinderheim, noch als Bauernhof oder jetzt als Gästehaus. Frau Vera hat uns mit ihrer Offenheit, aber auch in der Unterscheidung geprägt: Wo ist unsere Hingabe gefragt und wo nicht? Gemeinsam horchen wir auf das, was kommt, was uns fragt und wie wir darauf antworten: von Mensch zu Mensch und Schritt für Schritt.”

 

Text und Fotos: Nicolaus Raßloff, Bielefeld
erschienen in "Frohe Botschaft" Evangelisches Monatsblatt, 19. August 2012

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